OGH legt sich zur Geschäftsraummiete im Lockdown fest: Vertragszweck für Beurteilung der Unbrauchbarkeit entscheidend

In der Vergangenheit hat sich der OGH bereits mehrfach mit der Thematik „Mietzinsminderung im Zusammenhang mit COVID-19“ auseinandergesetzt (zuletzt „Jänner 2022“). Nunmehr hat sich der OGH erneut mit diesem Thema auseinandergesetzt und zur Frage, wie eine teilweise Benützbarkeit des Geschäftslokals bei einer etwaigen Mietzinsreduktion zu berücksichtigen ist, Stellung bezogen.

Die wesentlichen Punkte der neuen OGH-Entscheidungen dürfen wir im Folgenden zusammenfassen:

1. Ausgangslage / Sachverhalte

In der ersten Entscheidung zu 3 Ob 209/21 p ist die Beklagte Mieterin eines Geschäftslokales mit dem vereinbarten Geschäftszweck „Reisebüro“. Während des behördlich angeordneten Lockdowns von 16.03.2020 bis 30.04.2020 war das Reisebüro geschlossen. Ab dem 16.03.2020 wurden zwar keine Reisen mehr bei der Beklagten gebucht, doch waren die Mitarbeiter intensiv damit beschäftigt, Umbuchungen und Stornierungen abzuwickeln und Kunden, die im Ausland waren, bei der Rückreise nach Österreich zu unterstützen. Der in der Filiale der Beklagten in dieser Zeit erwirtschaftete Umsatz betrug im Vergleich zum Vorjahr nur einen Bruchteil (weniger als 10 %). Während des Lockdowns zahlte die Beklagte keinen Mietzins.

Die Vermieterin begehrte in ihrer Klage die Zahlung der anteiligen offenen Mietzinse. Dies mit der Begründung damit, dass die bestimmungsgemäße Nutzung des Kundenbereiches zwar untersagt gewesen sei, aber die Bürotätigkeiten nicht betroffen gewesen seien. Es sei jedenfalls keine Mietzinsminderung von mehr als 30 % gerechtfertigt, weswegen sie 70 % des Mietzinses forderte.

Das Erstgericht hielt fest, dass der Beklagten aufgrund des Betretungsverbotes eine Mietzinsminderung zustehe, welche nach der Gebrauchseinschränkung für das Bestandobjekt zu bemessen sei. Aufgrund der behördlichen COVID-19-Maßnahmen sei eine Mietzinsminderung von 30 % gerechtfertigt. Für die Zeit des Lockdowns schulde die Beklagte daher den aliquoten Mietzins von 70 %.

Das Berufungsgericht folgte der Ansicht des Erstgerichtes nicht und gab der Berufung der Beklagten Folge. Es wies das gesamte Klagebegehren ab, da ein Restnutzen des Bestandobjekts infolge des massiven Umsatzrückgangs auf 10 % nicht mehr bestanden habe.

Der OGH hat in seiner Entscheidung die Ansicht des Erstgerichtes vertreten und das Ersturteil wiederhergestellt. Zur rechtlichen Begründung des OGH nehmen wir in Punkt 2. näher Stellung.

In der zweiten Entscheidung des OGH zu 4 Ob 218/21v ist die Klägerin Mieterin eines Geschäftslokales in dem Einrichtungshaus der Beklagten und betreibt dort eine Filiale ihres Handels- und Gastronomieunternehmens. Die Filiale war während der drei behördlich angeordneten Lockdowns geschlossen und erzielte in diesen Zeiträumen keine Umsätze. Die Mitarbeiter der Klägerin waren in den Lockdowns zu 5 %, zu 18 % und zu 24 % anwesend und führten unter anderem eine Inventur durch, schickten Waren zurück und gestalteten die Verkaufsfläche neu.

Die Klägerin begehrte unter Berufung auf § 1104 ABGB die Rückzahlung des gesamten während der drei Lockdowns gezahlten Mietzinses. Wegen der verordneten Betretungsverbote habe sie die Filiale schließen müssen und daher keine Umsätze erzielt.

Das Erstgericht gab der Klage statt, da aufgrund der Betretungsverbote der Umsatz zur Gänze ausgefallen sei. Die Klägerin sei daher berechtigt, eine Mietzinsreduktion auf Null vorzunehmen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Erstentscheidung nur zum Teil. Es sei zu keiner gänzlichen Unbenützbarkeit des Geschäftslokales gekommen, weil die Klägerin jedenfalls ca. ein Drittel der Gesamtfläche als Lager, Büro bzw. Personalräume nutzte und diesbezüglich auch während der Betretungsverbote eine Nutzung möglich gewesen sei. Die Klägerin sei daher zur Zahlung des Mietzinses im Ausmaß von einem Drittel verpflichtet.

Der OGH vertrat, wie auch das Berufungsgericht, die Ansicht, dass eine Mietzinsminderung um zwei Drittel berechtigt sei, weil zumindest ein Teil der Geschäftsfläche während der Lockdowns dienlich war bzw. gewesen wäre, wenn die Mieterin die Möglichkeit genutzt hätte. Zur näheren Begründung des OGH verweisen wir auf Punkt 2.

2. Kernaussagen des Obersten Gerichtshofes

Der OGH hielt zusammenfassend fest, dass ein Umsatzrückgang allein nicht entscheidend für die Beurteilung der Unbrauchbarkeit ist. Vielmehr kommt es auf den im Vertrag vereinbarten Geschäftszweck an. Demnach darf keine nach dem Vertragszweck gewöhnlich erforderliche Verwendung möglich sein, damit es zu einem Mietzinsentfall kommt (zu berücksichtigen ist etwa auch ein möglicher Online-Verkauf). Ob die Bestandsache bei einer entsprechenden Möglichkeit zur teilweisen Verwendung auch tatsächlich dafür genutzt wird, ist hierbei nicht ausschlaggebend, denn dies obliegt der autonomen kaufmännischen Disposition des Bestandnehmers.

Ist die vertragsgemäße charakteristische Nutzung jedoch (teilweise) möglich und somit das Bestandsobjekt nur eingeschränkt und nicht gänzlich unbenützbar, so ist gemäß § 1105 ABGB eine Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung zulässig. Diese berechnet sich nach der relativen Berechnungsmethode, wobei, ausgehend vom vereinbarten Geschäftszweck, anhand eines objektiven Maßstabs das Ausmaß der Unbrauchbarkeit bzw. Unbenützbarkeit festgelegt wird. Hierbei trifft die Beweislast für die mangelnde Brauchbarkeit den Bestandnehmer.

Der OGH macht auch deutlich, dass Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters nur insoweit wesentlich sind, als diese aufgrund von behördlichen Maßnahmen als konkrete Folge einer Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts auftreten. Dies ist etwa bei einem behördlichen Betretungsverbot der Fall. Aufgrund der COVID-19-Pandemie unmittelbar erfolgten Umsatzeinbußen, die sämtliche Unternehmer, insbesondere die gesamte Branche allgemein und insgesamt treffen, sind laut OGH irrelevant, da diese dem Unternehmerrisiko zuzuordnen sind.

3. Fazit

 Der OGH stellt durch diese neuen Entscheidungen klar, dass für die Frage, ob eine Mietzinsminderung geltend gemacht werden kann, auf die Beurteilung der Unbrauchbarkeit bzw. das Ausmaß der Unbrauchbarkeit und auf den vertraglich festgelegten Geschäftszweck abzustellen ist. Die Stellung des Bestandgebers wird hier insbesondere dadurch gestärkt, dass die Beweislast für die Unbrauchbarkeit beim Bestandnehmer angesiedelt ist.

Umsatzeinbußen können ein Indiz dafür sein, dass eine (teilweise) Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes vorliegt, allerdings müssen diese Einbußen eine unmittelbare Folge der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des konkreten Geschäftslokales sein (zB wegen behördlichen Maßnahmen).

Zudem kommt es nicht darauf an, inwieweit der Mieter eine Geschäftsräumlichkeit tatsächlich nutzt, sondern darauf, in welchem Ausmaß die vermietete Geschäftsfläche noch dienlich war.

Unser Team berät Sie gerne bei Fragen zur Mietzinsminderung und anderen mietrechtlichen Themen.

Dr. Gerald Waitz                                                     Mag. Sophie Stürmer

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